Im Klinikum Aschaffenburg-Alzenau laufen die Vorbereitungen zur Umsetzung der bundesweit ersten selbstorganisierten Station auf Hochtouren. Hierfür haben sich Menschen zusammengefunden, die die Zusammenarbeit aller Mitarbeitenden einer Station gemeinsam völlig neu denken und das System von innen heraus nachhaltig verändern wollen. Unabhängig von Berufsgruppen und Hierarchieebene soll jeder auf der Station kompetenz- und stärkenbasiert andere und neue Rollen übernehmen können. Zudem sollen auch Patienten stärker in die Behandlung einbezogen und dadurch autonomer werden. Aktuell erarbeitet das entstehende Team im Rahmen verschiedener Workshops die hierfür erforderlichen Strukturen. Einen kleinen Einblick in diesen Prozess geben vier Personen, die von Beginn an dabei sind: Karolina, Sabine, Sabrina und Silke sprachen im Interview über ihre Motivation und ersten Eindrücke.
Wie seid ihr zu „Meine Station“ gekommen?
Sabrina: Mir hat mein Beruf in der Pflege großen Spaß gemacht. Leider wurden die Umstände immer schlechter, sodass ich nicht mehr Teil dieses Systems sein wollte. Ich war sehr traurig, den Beruf zu wechseln, habe aber gemerkt, dass ich das so nicht mehr schaffe. Als ich gelesen habe, dass in Aschaffenburg etwas ganz Neues ausprobiert wird, wo wir mitreden und mitbestimmen können, habe ich das als Chance gesehen, meinem eigentlich so geliebten Beruf wieder nachgehen zu können.
Sabine: Als ich die Anzeige gelesen habe, habe ich gedacht, das klingt superspannend, da musst du unbedingt mitmachen. Gleichzeitig hatte ich aber Bedenken: Wie soll das denn funktionieren? Eigenverantwortlich im Krankenhaus, wo alles vordiktiert wird – wo oben jemand sitzt, der sagt, das machen wir so und nicht anders. Ich bin dann trotz meiner Zweifel zu den Workshops gegangen. Eigentlich gerade deswegen, um zu erfahren, wie es auch anders gehen kann.
Silke:Ich habe mich beworben, weil sich die Stellenanzeige wie ein Traum angehört hat und auch ich an der aktuellen unmöglichen Pflegesituation etwas ändern möchte.
Was hat euch motiviert, diesen Weg als „Pionierinnen“ zu gehen?
Sabrina: Mein größter Motivationsschub kam in der ersten Infoveranstaltung durch Hubertus Schmitz-Winnenthal. Er hat so ein Gefühl dafür, was schiefläuft, wie es uns geht und wie wir es ändern können. So etwas vom Chefarzt zu hören, ist einfach super. Außerdem kommt meine Motivation ganz stark aus dem Team heraus. Die neuen Kolleginnen und Kollegen kennenzulernen, zu erfahren, dass einige eigentlich aus dem Beruf raus sind und extra für das Projekt wieder zurückkommen, stärkt mich so sehr.
Karolina: Ich bin aktuell als Auszubildende in der Pflege. Das Projekt gibt mir die Möglichkeit, meine zukünftigen Arbeitsbedingungen zu gestalten. Ich wurde von Anfang an dazu ermutigt, klar auszusprechen, was ich brauche, um meinen Beruf menschenwürdig und professionell auszuüben. Natürlich steht dabei das Patientenwohl im Vordergrund - ich selbst als Mensch werde aber nicht vergessen. Und das fühlt sich gut und richtig an.
Ihr findet euch gerade als komplett neues Team zusammen. Wie fühlt sich das an?
Sabine: Es war wahnsinnig beeindruckend, wie viele Menschen zusammengekommen sind, die alle die gleichen Ziele verfolgen und das auch wirklich gemeinsam entwickeln wollen. Die Spaß daran haben, einfach dafür brennen, Pionier zu sein, um „Meine Station“ entstehen zu lassen.
Silke:Auch mich hat überrascht, wie sehr wir alle gleich denken und uns so toll verstehen. Zu Beginn des Workshops sollten wir uns vorstellen, unsere Berufe nennen und kurz mitteilen, was wir gerne in unserem Job verändern möchten. Ich bin immer noch total geflasht, dass wir alle, ausnahmslos, nur jeder natürlich in eigenen Worten, dasselbe Ziel verfolgen. Wir waren insgesamt 26 Teilnehmer und drei Moderatoren und alle wollen dasselbe? Das musste ich erst mal sacken lassen. Durch verschiedene Gruppenarbeiten hat sich dies dann immer weiter bestätigt. So etwas habe ich noch nie erlebt. Jeder hat einen anderen Charakter, andere Erfahrungen, ein anderes Alter, und trotzdem wollen alle das Gleiche. Ich bin wirklich begeistert und habe das Gefühl, endlich angekommen zu sein.
Ihr habt jetzt alle schon an mehreren Workshops teilgenommen. Wie können wir uns diese vorstellen, womit beschäftigt ihr euch und wie laufen diese ab?
Silke:Wir lernen enorm viel, haben Spaß und lernen uns als Menschen immer besser kennen. Zum Beispiel, indem wir uns in Kleingruppen aufteilen oder Partnerarbeiten durchführen.
Karolina: Wir haben zusammen schon ordentlich was erarbeiten können. Vor allem haben wir für uns herausgefunden, warum es sich lohnt, bei “Meine Station” mitzumachen. Wir haben unserer Arbeit und uns als Team einen gemeinsamen Sinn gegeben.
Silke:Genau das war auch eines meiner persönlichen Highlights. Als wir unseren Purpose-Satz zum ersten Mal komplett niedergeschrieben sahen, waren wir erstmal alle still. Ich hatte Gänsehaut, so toll ist unser Ergebnissatz geworden.
Sabine: Die Workshop-Inhalte sind wahnsinnig bereichernd und interessant. Wir hören zu, sind konzentriert und entwickeln direkt Lösungen und Ansätze. Man muss sagen, das ist natürlich auch anstrengend.
Sabrina: Das stimmt, die Anfangszeit war und ist immer noch sehr anstrengend, vor allem weil so viel in einem selbst passiert.
Ihr tauscht euch viel über eure Bedürfnisse aus und die Art, wie ihr miteinander sprecht und umgehen wollt. Könnt ihr das etwas näher erläutern?
Karolina: Das ist das, was mir am besten gefällt: die lösungsorientierte und klare Kommunikation, die wir im Team erlernen. Wir haben erkannt, dass es uns als Team vorantreibt, wenn wir unsere Bedürfnisse klar formulieren können. Statt einfach zu sagen, dass etwas nicht funktioniert, denken wir einen Schritt weiter und schlagen dem Team erste Lösungsansätze vor. So ist die Haltung zu einem Problem von Anfang an viel positiver und effektiver gestimmt. Das gibt dem Team und mir gleich eine bessere Basis, um gemeinsam die beste Lösung zu finden.
Sabrina: Das Gefühl gehört zu werden, ist super. Es ist natürlich anstrengend, erstmal an sich selbst zu arbeiten und sich zu fragen: Was brauche ich, um zufrieden nach Hause zu gehen? Oder was möchte ich überhaupt ändern? Was sind meine Bedürfnisse? Ich habe in meinen Berufen bisher nie lernen dürfen, meine Bedürfnisse zu äußern. Jetzt soll plötzlich alles auf den Tisch gelegt werden.
Silke:Wir gehen total offen und wertschätzend miteinander um, das verbindet uns irgendwie. Zum Beispiel ließen wir am Ende eines Workshops ein leeres Blatt mit unseren Namen reihum gehen und jeder schrieb über die anderen jeweils eine positive Sache auf das Blatt. Als ich mein Blatt zurückbekam, sind mir vor Freude die Tränen gekommen. Es hängt jetzt an der Wand an meinem Schreibtisch, wo ich es immer sehen kann. Es zaubert mir jedes Mal ein Lächeln ins Gesicht, wenn ich das alles nochmal lese.
Wenn ihr nach vorne schaut, was wünscht ihr euch für „Meine Station“? Seid ihr davon überzeugt, dass das Projekt erfolgreich wird?
Sabine: Ich bin mir ganz sicher, dass das funktionieren wird, weil wir einfach alle das gleiche Ziel verfolgen.
Sabrina: Ja, genau deswegen macht es einen Riesenspaß, und am Ende kann es nur gut werden.
Silke: Es ist nicht so, dass wir langsam zu einem Team werden, sondern ich sehe uns bereits jetzt als Team. Gleichzeitig freuen wir uns, wenn sich noch mehr Interessierte finden, die unser Team vervollständigen und den Mut haben neue Wege zu gehen, um unsere Arbeit für unsere Patienten, aber auch für uns selbst besser zu gestalten.
Karolina: Auch ich wünsche mir, dass wir die Idee noch weiter in die Welt tragen können und noch viele weitere Kolleginnen und Kollegen die Vorteile dieser neuen Arbeitsweise erkennen. Für mich persönlich ist es bereits jetzt schon ein Erfolg. Allein meine persönliche Entwicklung, die das Projekt angestoßen hat und vorantreibt, ist für mich jetzt und bestimmt auch in Zukunft sehr wertvoll.