Ein Gastbeitrag von Ralf.
In diesem Sommer hatte ich die Möglichkeit, auf „Meine Station“ im Klinikum Aschaffenburg zu hospitieren.
Wie ist es dazu gekommen?
Im März 2020 stand ich wie viele andere auf dem Balkon und klatschte für die Pflege. Wie vielen anderen war mir damals bewusst, dass das sicher nicht die Lösung sein kann. Die Tatsache, dass der ganze Pflegebereich unter Fachkräftemangel leidet und viele Menschen sich andere Aufgaben suchen, spricht eine klare Sprache.
Viel wurde über dieses Thema bereits geschrieben, noch mehr wurde gesagt. Gemacht wurde wenig. Und so ändert sich in der Tat auch nichts. Dabei ist doch die Wahrscheinlichkeit groß, dass wir alle mal Empfänger von Pflege werden.
Wenn man, laut Gustav Heinemann, „den Wert einer Gesellschaft daran erkennt, wie sie mit den Schwächsten ihrer Glieder verfährt“, kann man sicher auch auf den Pflegestationen etwas über unsere Gesellschaft erfahren. So meine Theorie.
Das Klinikum Aschaffenburg habe ich gewählt, weil hier die erste chirurgische Pflegestation in Deutschland selbstorganisiert arbeitet. Kurz gesagt, gibt es hier kein Management, das den Pflegekräften sagt, wie sie arbeiten sollen. Das Team organisiert sich im vorgegebenen Rahmen selbst.
Kann sowas funktionieren? Wer behält den Überblick? Wer steuert?
An alle Kritiker dort draußen. Es funktioniert. Und wie es funktioniert! Selten habe ich so eine Ernsthaftigkeit bei der Arbeit gespürt.
Die Kolleginnen wussten, dass ihre Meinung gefragt ist. Ein resigniertes Kopfschütteln über „die dort oben“ macht keinen Sinn. Selbstverantwortung ist gefragt. Wenn etwas stört, hat jeder die Möglichkeit etwas zu verändern. Erprobte holokratische Strukturen bilden den Rahmen für das selbstorganisierte Arbeiten im Team.
Mit der Verantwortung kommt eine großes Stück Würde zurück in die Arbeit. Und Würde ist auch der zentrale Begriff, der nachklingt, wenn ich an meine Zeit als hospitierende Pflegekraft zurückdenke.
Es beindruckt zu sehen, wie Menschen schwere Schicksale tragen.
Es beeindruckt zu sehen, wie Menschen mit hilfsbedürftigen Menschen umgehen. Ganz alltäglich.
Und es beeindruckt zu sehen, wie Menschen selbstorganisiert um ihre Arbeit ringen und die Prozesse jeden Tag ein Stück weit verbessern.
Verschwinden dadurch alle Probleme in der Pflege? Sicher nicht.
Aber die Lösungen werden von den Menschen gefunden, die dann auch täglich mit ihnen konfrontiert sind.
Ein Beispiel, das ein Signal weit über Aschaffenburg hinaus sendet. Weiter so!
Ralf hat im August eine Woche auf "Meine Station" hospitiert.
Er war vormals Führungskraft in der Automobilindustrie.
Er ist ausgebildeter The Loop Approach Fellow und engagiert sich inzwischen beruflich für eine veränderte Arbeitswelt.