Gaby E. und Sabrina W. konnten Ende Oktober 2022 zwei Tage lang in der Oberschwabenklinik in Ravensburg hospitieren und Eindrücke für “Meine Station” sammeln.
Die Oberschwabenklinik ist besonders, weil sie bereits seit 2018 die soziokratische Kreisorganosationsmethode (SKM) als Organisationsmodell in der Kinder- und Jugendmedizin nutzt und damit eine innovative, gemeinsame Entscheidungsfindung in multiprofessionellen Teams ermöglicht.
Hallo Gaby und Sabrina, wie war die Stimmung auf den Stationen der Oberschwabenklinik? Wie habt Ihr die Pflege an diesen Tagen erlebt?
Wir haben die Stimmung je nach Station sehr unterschiedlich wahrgenommen. Besonders ist, dass sich die Arbeitnehmer*innen im Großen und Ganzen durch die soziokratische Kreisorganisationsmethode mehr „gehört“ fühlen und eine Teilhabe besser möglich scheint. Viele haben erzählt, dass Probleme besser angesprochen werden und gleich ein Lösungsansatz mit genannt wird, das macht die Menschen vor Ort zufriedener. Dennoch ist auch hier der Personalmangel spürbar, was wiederum zu Unmut führt. Trotzdem finden Viele die Umstellung zur Kreisorganisationsmethode gut, auch wenn das Interesse sich einzubringen sehr unterschiedlich ist.
Uns hat aber überrascht, dass feste Hierarchiestrukturen weiter vorhanden sind, es gibt zum Beispiel eine Pflegedienstleitung und eine Stationsleitung.
Wie wurde interdisziplinär zusammengearbeitet und was war der Vorteil davon?
Hier sind neben den Kreisversammlungen die Visiten besonders: Sie finden in einem genau festgelegten Zeitraum interprofessionell mit Pflegekräften, Physiotherapeut*innen, Ärzt*innen sowie Auszubildenden statt. Das sorgt gleich für einen guten Austausch. Außerdem werden auch die Familien und Kinder intensiv mit einbezogen. Das gefällt uns gut.
Die Kreisversammlungen fördern dann aber zusätzlich den Austausch zwischen den verschiedenen Bereichen. Die Kreise sind nach unterschiedlichen Bereichen aufgeteilt (Intensivstation, Regelversorgung, Diagnostik und Ambulanz). Innerhalb dieser wird dann wieder eine gute Kommunikation und Kontakt zwischen den einzelnen Berufsgruppen gelebt. Dadurch werden auch die Interessen von allen Berufsgruppen bedacht, was wiederum Zufriedenheit im Team fördert.
Wo habt ihr Probleme/Herausforderungen durch die besondere Arbeitsweise gesehen?
Insgesamt ist die Methode etwas, was man üben muss. Die Vorbereitung wirkt daher sehr zeitintensiv, bis man wirklich daran teilnehmen kann und die Abläufe vertraut sind. Auch ist es insgesamt eine Umstellung, selbst mitbestimmen zu dürfen. Daran muss man sich, denken wir, erst gewöhnen. Teilweise wurde in den Stellenausschreibungen gar nicht genannt, dass diese Arbeitsform in der Klinik genutzt wird. Hier ist eine hohe Transparenz notwendig, damit jede*r Bewerber*in auch weiß, worauf sie oder er sich einlässt.
Wir haben außerdem das Gefühl, dass die Schnittstellen zum Rest der Klinik oder Teilen, wo das Modell noch nicht angenommen wurde, eine Herausforderung darstellt. Hier prallen die alten Strukturen auf neue, das sorgt für Spannungen und benötigt viel Kommunikation.
Was ist für “Meine Station” wichtig, was sollten wir übernehmen?
Insgesamt können wir viel aus der Hospitation lernen. Durch die Kreismethode wird eine Struktur geschaffen, in der Veränderung und Weiterbildung des Teams sowie transparente und faire Kommunikation möglich sind.
Für uns bedeutsam war der Umgang mit Kritik, welcher immer gleich an einen möglichen Lösungsvorschlag gekoppelt ist. Dadurch gibt es eine gute Möglichkeit „zu meckern“ und trotzdem dabei lösungsorientiert zu arbeiten. Das sollten wir uns abgucken. Skeptiker*innen wurden gleich als Gäste zu einer nächsten Sitzungen eingeladen. Das schafft Transparenz zur Situation und zeigt gleichzeitig den kritisierenden Personen, in welchem Rahmen und wie Probleme angesprochen werden können. In den Kreisen werden Personen nicht nach Beliebtheit, sondern nach Fähigkeiten in offenen Wahlen ausgesucht. Das kommt den Zielen der Projekte im Allgemeinen zugute. Auch findet eine gemeinsame Priorisierung der Tagesordnung in den Sitzungen statt. Alle konnten also mitentscheiden, was heute wichtig ist. Am Sitzungsende einer Kreisversammlung wurde eine regelmäßige Feedback-Runde eingeplant. Hier können pro Sitzung zu einer Person jeweils von der ganzen Gruppe Wertschätzung, aber auch zukünftige Wünsche oder Kritik geäußert werden. Das ist wichtig, um zu sehen, wohin sich das Team entwickeln möchte, und wo es individuellen Verbesserungsbedarf gibt. Die interdisziplinäre Arbeitsweise gefällt uns gut. Gleichzeitig können wir strukturell einiges lernen. Es gibt zum Beispiel feste Pausenzeiten für Alle und diese werden konsequenter Weise in den Visiten und Abläufen berücksichtigt.
Vielen Dank für den Einblick Euch beiden! Wer sich weiter für das soziokratische Kreismodell interessiert, kann hier mal reinhören:
”Soziokratie im Krankenhaus funktioniert - Ein Erfahrungsbericht“.