25. September 2023

Spagat für Fortgeschrittene

Ein Kommentar von Felix Herter.

„Ich möchte verhindern, dass die Station nur nach außen als Vorzeigeprojekt herhält, es sich für die Menschen auf der Station aber gar nicht so anfühlt”, so eine besorgte Stimme kürzlich im wöchentlichen Synchronisationsmeeting unseres Organisationsteams. „Ich fühle mich nicht wohl damit, nach Hamburg zu fahren und uns beim New Work Award feiern zu lassen, während es im Alltag viele Herausforderungen und Bereiche gibt, die noch nicht so laufen, wie wir uns das vorgenommen haben“, teilte mir eine nachdenkliche Pflege-Pionierin sinngemäß vor ein paar Monaten im persönlichen Gespräch mit.

Diese innere Zerrissenheit kann ich sehr gut nachfühlen. Auszeichnungen, Minister-Besuch und Schulterklopfer auf der einen Seite, das Tagesgeschäft mit all den Notwendigkeiten und Herausforderungen auf der anderen Seite. Da prallen Außen- und Innenwahrnehmung manchmal ganz schön unsanft aufeinander. Und dann gibt es auch noch die kritischen bis wenig wohlwollenden Stimmen innerhalb und außerhalb des Hauses. Wie authentisch darf man unter ihrer Beobachtung überhaupt sein? Liefert man diesen Stimmen durch ein offenes und ehrliches Teilhaben lassen am Entwicklungsprozess am Ende noch Futter? Sollte man stattdessen lieber vorgeben, dass alles schon reibungslos läuft und den inneren Widerspruch einfach aushalten?

Eine derart tiefgreifende und ganzheitliche Veränderung der Zusammenarbeit, wie sie bei „Meine Station“ umgesetzt wird, braucht Zeit. Entwicklung funktioniert nicht per An/Aus-Schalter. Das Projekt nimmt Elemente wirksamer und bedürfnisorientierter Zusammenarbeit in den Blick, die in klassischen Ansätzen der Arbeitsorganisation in Krankenhäusern kaum eine Rolle spielen. Der Aufbau und das Leben einer neuen Haltung, aber auch das Entwickeln und Erlernen von grundlegend neuen Strukturen und Prozessen erfordert von allen Beteiligten viel Energie, Mut und Geduld. Auch in der Auseinandersetzung mit sich selbst. Diese beinhaltet ein Reflektieren und Ablegen von teilweise jahrzehntelang erlernten Mustern und Verhaltensweisen.

Wie anspruchsvoll und intensiv das ist, lässt sich auch gut an einem selbst beobachten. Ich erlebe das beispielsweise, wenn wir als Gesellschaft aufgerufen sind, tief verankerte Glaubenssätze zu hinterfragen und unsere Haltung und unser Verhalten in Zeiten einer umfassenden gesellschaftlichen Transformation an neue Gegebenheiten anzupassen.

Rückschritte, Reibereien und das Gefühl, dass die Veränderungen mal zu schnell und mal zu langsam gehen, sind in Transformationsprozessen gewöhnlich. Es ist okay, diese Wahrnehmungen auch transparent zu machen und sie nicht zu verbergen. Um den Teammitgliedern ein authentisches Sein zu erleichtern, wünsche ich mir ein Umfeld für sie, das sie stärkt, fördert und wohlwollend begleitet.

Gleichzeitig gibt es jede Menge Gründe, die Auszeichnungen, den Minister-Besuch und die Schulterklopfer mit offenem Herzen anzunehmen und sich und das schon Erreichte ehrlich zu feiern. Alle Teammitglieder hatten zu Beginn des Projekts unterschiedliche Startvoraussetzungen. Mich berührt zu sehen, wie sich jede und jeder Einzelne auf eine eigene Art und Weise mit sich, den Teammitgliedern und dem Purpose der Station auseinandersetzt. Es ist bemerkenswert, was schon alles in wenigen Monaten auf der Pilotstation entstanden ist - auf individueller, zwischenmenschlicher, operativer und struktureller Ebene. Wenn man im Stationsalltag täglich Teil des Veränderungsprozesses ist, geht der Blick dafür manchmal verloren.

Es ist kein entweder Vorzeigeprojekt oder herausforderndes Tagesgeschäft. Es ist ein sowohl als auch. Das ist kein Widerspruch, aber ohne Zweifel, ein Spagat für Fortgeschrittene.

Felix Herter ist Organisationsentwickler und Loop Approach Ausbilder bei TheDive. Er ist einer der Projekt-Architekten von Meine Station und Teil des Organisationsteams.

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